++DER GEIST VON ’85 – JENE TAGE, DIE FÜR IMMER BLEIBEN++
Ein Essay über Fußball, Zeit und Erinnerung – zum Wiedersehen der Helden von 1985
Der Ort ist derselbe. Der Rasen riecht anders. Die Linien, die früher scharf gezogen waren, verschwimmen im Licht der Gegenwart. Und doch war alles wieder wie damals. So oder so ähnlich beginnt ein Kapitel, das nicht nur von Fußball handelt, sondern vom Leben selbst.
Am vergangenen Samstag trafen sich in Bad Neuenahr-Ahrweiler zehn Männer, die gemeinsam etwas Außergewöhnliches erlebt haben. Ihre Körper zeigen inzwischen die Spuren von sechs Jahrzehnten, ihre Bewegungen sind langsamer, die Stimmen tiefer. Doch in ihren Augen blitzt er noch immer auf – der Geist von 1985. Es ist die Geschichte der A-Jugend des Ahrweiler BC, Jahrgang 1967/68, die vor vierzig Jahren das hauseigene Pfingstturnier gewann – als einzige Mannschaft des Vereins in der gesamten Geschichte des Turniers, das von 1967 bis 1990 ausgetragen wurde.
Ein Sieg, so unspektakulär das Ergebnis – 2:1 nach Verlängerung gegen den FC Glasgow – auf den ersten Blick wirken mag, entfaltet in der Rückschau eine fast mythische Strahlkraft. Der Fußball, dieses flüchtige Spiel aus Sekundenbruchteilen und Emotion, wird durch Erinnerung unsterblich gemacht. Die Helden von 1985, das sind: Trainer Ludwig Graf, Lutz Glöckner, Ralf Beck, Christoph Bell, Andreas „Diego“ Weinschneider, Tugay Ögrük, Bernd Bockshecker, Jörg „Charlie“ Gäb, Gerd „Max“ Treffer und Tom Körtgen. Sie kamen zusammen – im Apollinarisstadion, dem Ort des Triumphes, der für einen Nachmittag zum Zeitportal wurde.
Und die kamen nicht alle aus der unmittelbaren Umgebung. Einige Ehemalige reisten aus Augsburg, Frankfurt oder Münster an, um Teil dieses Treffens zu sein. Entfernungen spielen keine Rolle, wenn es um Zugehörigkeit ging.
Es war kein gewöhnliches Wiedersehen. Zwischen Geschichten, die noch in der Kabine von 1985 zu schweben schienen, und ernsten Gesprächen über den Lauf der Dinge, wurde klar: Fußball war vielleicht die erste große Liebe – und ist geblieben. „Das hat uns zusammengeschweißt“, sagt Gerd Treffer, damals Torhüter, heute Jugendleiter des Ahrweiler BC, über die zwei Wochen in Tel Aviv, die der Mannschaft damals eine nie dagewesene Geschlossenheit verliehen. Ein Teamausflug als Keimzelle einer Legende. Aus dieser Einheit heraus wuchs nicht nur der Turniersieg, sondern auch eine Serie in der Rheinlandliga, die den Viertletzten fast noch ins Mittelfeld trug. Nicht, weil sie fußballerisch plötzlich Weltklasse waren. Sondern weil sie aneinander glaubten.
Doch es war mehr als Nostalgie, was dieses Treffen ausmachte. Die Männer, die einander einst mit Flanken, Grätschen und Torjubel stützten, erzählten sich nun von Operationen, Verlusten, Rückschlägen. Das Leben war nicht stehen geblieben, und es hatte keine Rücksicht genommen auf Erinnerungen. Der verstorbene Betreuer Helmut Lingen, dem die Mannschaft am Grab die Ehre erwies, war ebenso Teil dieser Geschichte wie die Stille, die sein Tod hinterließ. Und in der leisen Trauer um ihn zeigte sich eine neue Qualität von Kameradschaft – eine, die über den Fußball hinausweist.
„Helmut war ein beispielgebender Mensch, der so viel für uns in ehrenamtlicher Arbeit geleistet hat. Heute, wo nur noch wenige sich ehrenamtlich engagieren, wissen wir das umso mehr zu schätzen. Nochmals: Vielen Dank dafür, Helmut.“ – So oder ähnlich fasste es einer der Spieler zusammen, während der Blick still über die Ruhestätte wanderte. Helmut Lingen ist auf dem Friedhof am Ahrtor in Ahrweiler beerdigt – ein Ort, der nun nicht nur Trauer, sondern auch Dankbarkeit bewahrt.
Vielleicht ist das das größte Geschenk des Spiels: Dass es uns in jungen Jahren lehrt, füreinander zu laufen – und uns im Alter hilft, gemeinsam stehen zu bleiben.
Und so endet dieser Tag nicht in Wehmut, sondern mit einem leisen Versprechen: Spätestens in fünf Jahren, wenn sich der Finalsieg erneut jährt, wollen sie sich wiedersehen. Vielleicht sind die Schritte dann noch langsamer, die Erzählungen länger, die Gläser kleiner. Aber der Geist von 1985 – der wird wieder da sein. Auf dem Platz. Im Stadion. Im Lachen der Freunde.
Und weil Wiedersehen Zuversicht braucht, haben sich bereits jetzt all jene, die diesmal nicht teilnehmen konnten, für das nächste Treffen in fünf Jahren fest angemeldet.
Denn Fußball ist mehr als ein Spiel. Es ist eine Sprache, die keiner vergisst, der sie einmal gesprochen hat.